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Zentrum Ökumene der EKHN legt Afghanistan-Thesen vor

Außenpolitik muss weiterhin Friedenspolitik sein

Das Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat sich mit Friedenspolitischen Thesen in die Debatte um die Afghanistan-Politik eingemischt und zu den Äußerungen der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann Stellung bezogen.

Hier die sechs Thesen, die unter Führung von Dr. Bernhard Moltmann, dem Vorsitzenden der Kammer für Mission und Ökumene erstellt wurden:

„Die Debatten um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und um die friedensethischen Grundpositionen der Evangelischen Kirche werden gegenwärtig in den Medien breit geführt. Wir begrüßen jede sachliche Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft mit diesen Themen und verstehen die nachfolgenden Thesen als einen Beitrag dazu.

  1. Die im Oktober 2007 veröffentlichte Friedensdenkschrift der EKD „Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“ legt ein Denken vom „gerechten Frieden“ her nahe und räumt zivilen Konfliktlösungen Priorität ein. So betont sie: „Militärische Maßnahmen müssen Bestandteil einer kohärenten Friedenspolitik unter dem Primat des Zivilen bleiben“ (Ziffer 118, S. 78), benennt die „deutliche Skepsis hinsichtlich der Möglichkeiten..., mit militärischen Mitteln Frieden zu schaffen“ (Ziffer 117, S. 78) und stellt hohe Anforderungen an den Einsatz militärischer Mittel. Sie warnt vor der „Neuausrichtung der Bundeswehr vorwiegend auf Auslandseinsätze“ (Ziffer 149, S. 95) und klagt ein überzeugendes friedens- und sicherheitspolitisches Gesamtkonzept ein. Wir fordern dazu auf, diese Positionierung der Evangelischen Kirchen in ihrer Friedensdenkschrift zur Kenntnis zu nehmen und bei der Umsetzung politischer Entscheidungen zu berücksichtigen.

  2. Wir begrüßen, dass mit den Äußerungen von Frau Dr. Käßmann endlich in der Öffentlichkeit die friedensethische Debatte angestoßen wurde, die die Friedensdenkschrift einfordert. Gerne bringen wir unsere Positionen und Erfahrungen in diese Debatte mit ein und verweisen auf die in der Friedensdenkschrift benannte Kompetenz in Kirchen und kirchlichen Organisationen „zur Herstellung einer moralisch-sensiblen Weltöffentlichkeit, zur Förderung demokratischer Strukturen und auch zur Konfliktschlichtung und -bearbeitung im Auftrag internationaler Organisationen“ (Ziffer 90, S. 61).

  3. Für eine adäquate Beschreibung der Situation in Afghanistan und um Rechtssicherheit für die in Afghanistan eingesetzten Soldaten herzustellen, ist es notwendig, im politischen Sprachgebrauch von „Krieg“ zu reden. Diese Klarheit ist vor allem gegenüber den Soldaten wichtig, die im Afghanistaneinsatz täglich ihr Leben riskieren. Das humanitäre Völkerrecht, das unter anderem auch den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten verbindlich regelt, muss uneingeschränkt zur Anwendung kommen.

  4. Afghanistan zeigt: Frieden hat nur dann eine Chance, wenn er aus dem eigenen kulturellen und politischen Kontext heraus wächst und gefördert wird. Alle Anstrengungen sind zu unterstützen, die die Mitsprache der lokalen Bevölkerung einbezieht. Daher kann nur eine politische Lösung, die von der afghanischen Bevölkerung weitgehend selbst bestimmt und mitgetragen wird, zu einer dauerhaften und nachhaltigen Befriedung führen.

  5. In der aktuellen Situation steht auch eine Rückbesinnung auf die friedensethischen Maximen deutscher Politik an. Es ist der Nachweis zu erbringen, dass deutsche Außenpolitik weiterhin Friedenspolitik ist. Friedenspolitik muss Wege weisen, die Gewalt überwinden und Frieden ermöglichen. Dabei sind unterschiedliche politische, militärische oder entwicklungsbezogene Handlungslogiken aufeinander zu beziehen.

  6. Das stellt die Träger politischer Verantwortung wie die Öffentlichkeit vor umfangreiche Anforderungen:
  • Es ist möglichst rasch umfassende Transparenz herzustellen. Diese hat sich auf eine ungeschminkte Darstellung der Verhältnisse in Afghanistan ebenso zu beziehen wie auf die bisherige Rolle externer Streitkräfte vor Ort und auf die menschlichen wie materiellen Kosten des Bundeswehreinsatzes, aber auch auf die Perspektiven einer ungebrochenen Fortführung bzw. eines Abbruchs der militärischen Aktionen.

  • Die Verantwortlichkeiten im politisch-militärischen Konfliktfeld sind eindeutig zu identifizieren.

  • Es ist nicht hinzunehmen, dass den Kritikern an einem militärischen Einsatz fremder Truppen in Afghanistan die Last aufgebürdet wird, Alternativen zu präsentieren. Hier liegt die Bringschuld auf der Seite, die die gegenwärtige Situation scheinbarer Ausweglosigkeit verursacht hat. Es entspricht demokratischen Standards, sich dem Für und Wider in offener und fairer Debatte ohne Diskriminierung der einen oder anderen Seite zu stellen

  • In friedensethischer Perspektive sind die Optionen deutscher wie internationaler Politik unter folgenden Fragestellungen abzuwägen:
    • Dienen weitere Schritte tatsächlich dem Frieden oder erschweren sie Wege dorthin?
    • Steht bei allem internationalen Engagement das Anliegen im Vordergrund, den Menschen in Afghanistan eine neue, lebenswerte Perspektive (Frieden als Chance des gelingenden Lebens) zu eröffnen?
    • Ist gewährleistet, dass die Verhältnisse in Afghanistan nach einem Ende der gegenwärtigen Intervention tatsächlich friedlicher sind als vorher oder gegenwärtig?
    • Disqualifizieren die Instrumente der internationalen Intervention die ursprünglich genannten Zielsetzungen?
    • Wiegen die erwarteten Zugewinne an Sicherheit mögliche Verluste an Glaubwürdigkeit und demokratisch-rechtstaatlicher Standards in Afghanistan, aber auch im deutschen Kontext auf?
    • Reichen der politische Wille und die materiellen Ressourcen aus, um einen nachhaltigen Frieden zu realisieren?

Diese Herausforderungen lassen sich nicht in kurzer Zeit und nicht auf internationalen Konferenzen bewältigen. So lange jedoch kein tragfähiger politischer wie gesellschaftlicher Konsens über angemessene wie verantwortliche Lösungen hergestellt ist, sind Entscheidungen mit vorzeitiger Weichenstellung nicht zu rechtfertigen. Zugleich ist davor zu warnen, zu Vereinfachungen Zuflucht zu nehmen, Feindbilder zu pflegen oder zur Entlastung nebensächliche, ablenkende Auseinandersetzungen zu eröffnen.

Gewiss ist allein, dass es umfangreicherer Anstrengungen als bisher aufgebracht bedarf, um in der afghanischen Konfliktkonstellation Not, Gewalt und Unfreiheit zu verringern und damit dem Frieden näher zu kommen. Christen und Kirchen verlassen sich hier auf den Beistand Gottes, den sie in Gebet und Gottesdienst suchen. Außerdem sind Christen und Kirchen zur seelsorgerischen und friedensethischen Begleitung all derer gehalten, die sich an der politischen Meinungsbildung hierzulande engagieren und Entscheidungen zu fällen haben, aber auch als Soldaten, Entwicklungshelfer und Friedensarbeiter Teil der Auseinandersetzungen in Afghanistan geworden sind. Dazu gehört auch die Begleitung der deutschen Soldaten und ihrer Angehörigen, der afghanischen Bevölkerung und der politisch Verantwortlichen in allen beteiligten Ländern im Gebet.

Dr. Bernhard Moltmann (Vorsitzender der Kammer für Mission und Ökumene), Detlev Knoche (Leiter des Zentrums Ökumene), Jörg Bickelhaupt (Beauftragter für den interkonfessionellen Dialog), Dr. Kai Funkschmidt (Beauftragter für Ökumenisches Lernen und Weltanschauungsfragen), Mechthild Gunkel (Beauftragte für Friedensarbeit) , Friedhelm Pieper (Beauftragter für Entwicklung und Partnerschaft Europa), Dr. Helga Rau (Beauftragte für Entwicklung und Partnerschaft Afrika)

Verantwortlich: gez. Pfarrer Stephan Krebs, Pressesprecher

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