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Abschiebungshaft

Abschiebungshaft in vielen Fällen rechtlich fragwürdig

pixabay/chanzj

Diakonie und Caritas stellen Auswertung des Rechtshilfefonds zur Abschiebungshaft in Ingelheim vor

In Deutschland kommen immer mehr Menschen in Abschiebungshaft. Im Jahr 2016 ist die Zahl der in der rheinland-pfälzischen Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige untergebrachten Menschen um mehr als die Hälfte, um 55 Prozent, gestiegen. In Ingelheim wurden insgesamt 359 Personen inhaftiert. Während im Jahr 2013 noch 100 Personen auf ihre Abschiebung warteten, waren es im Jahr 2014 bereits 164, im Jahr 2015 stieg die Zahl weiterhin auf 232 Menschen an. Aus der Haft heraus wurden im vergangenen Jahr 296 Menschen abgeschoben, 79 Personen wurden entlassen. Diese Zahlen zeigen ebenso wie die Auswertung des Rechtshilfefonds, den Diakonie und Caritas gemeinsam zur Verfügung stellen, dass die Haftverfahren immer wieder rechtliche Mängel aufweisen. 

Eberhardt: „Situation ist dramatisch“ 

Im Jahr 2016 wurden in der Abschiebungshaft 42 Fälle durch den Rechtshilfefonds juristisch überprüft. In 14 Fällen führte dies zu einer Entlassung der Betroffenen. Jedoch wurde in acht weiteren Fällen in späteren Gerichtsverfahren die Haft für rechtswidrig erklärt, nachdem die Betroffenen bereits abgeschoben waren. Somit waren mehr als die Hälfte dieser Menschen zu Unrecht in Haft. „Es ist dramatisch, dass immer mehr Menschen zu Unrecht in Abschiebungshaft genommen werden. Wir können dies um der betroffenen Menschen willen nicht hinnehmen“, so der Vorsitzende des Diözesancaritasverbandes, Domkapitular Hans-Jürgen Eberhardt. „Selbstverständlich erkennen wir an, dass viele Ausländerbehörden darum bemüht sind, das Instrument der Abschiebungshaft nur in rechtlich einwandfreien Fällen einzusetzen“, so Eberhardt. 

Rühl: „Menschenrechte sind nicht teilbar“ 

Im Rahmen des so genannten Asylpakets II kam es seit März 2016 zu weiteren Verschärfungen im Aufenthaltsrecht. Diese hatten auch Auswirkungen auf den Vollzug in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige. Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Pfarrer Horst Rühl, sagte dazu: „Auch die so genannte Dublin-Haft wird wieder verstärkt vollzogen. Menschen werden in andere europäische Länder zurückgeschickt, in denen sie oft unzureichende Versorgung erhalten und auf der Straße leben müssen. Das führt nicht selten dazu, dass sich die Menschen erneut auf den Weg machen. Solange die Aufnahme- und Lebensbedingungen innerhalb der EU so unterschiedlich sind, erzeugt dieser unwürdige Verschiebebahnhof menschliche Dramen“, so Rühl. „Da sich die Stimmung in der politischen und der öffentlichen Debatte hin zu einer schnelleren Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern verschoben hat, ist man offenbar darum bemüht, die staatliche Bereitschaft hierzu zu demonstrieren. Dazu gehört auch die Abschiebungshaft als letzte Konsequenz. Das ist vom menschlichen Standpunkt her erschreckend. Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten auch und gerade in Ingelheim“, führt Rühl weiter aus. 

Neben der Bereitstellung des Rechtshilfefonds unterhalten Caritas und Diakonie eine unabhängige Beratungsstelle in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige in Ingelheim und ermöglichen so Beratung für die Inhaftierten und insbesondere eine kostenlose Rechtsberatung durch erfahrene Asylrechtsanwälte. „Diesen Menschen in der Haft beizustehen und ihnen die Möglichkeit zu geben, die Haftanordnung juristisch überprüfen zu lassen, ist das erklärte Ziel unseres gemeinsamen ökumenischen Engagements in der Abschiebungshaft in Ingelheim“ erklärt Eberhardt und fährt fort: „Die Zahlen machen deutlich, dass diese Arbeit weiterhin dringend nötig ist. Zwar ist uns bewusst, dass man die Ergebnisse des Rechtshilfefonds in Relation zu den stark gestiegenen Zahlen der Inhaftierten in Deutschland setzen muss, ebenso einleuchtend ist jedoch, dass in den von den Anwälten übernommenen Fällen die Mühe lohnt“. 

Fallbeispiel: Entlassung aufgrund psychischer Erkrankung 

Frau E. kommt aus Kamerun und lebt bereits seit 2010 in Deutschland. Sie berichtete von schlimmen, traumatisierenden Erlebnissen in ihrer Heimat. Da diese aber in keinem Zusammenhang mit staatlicher Verfolgung gesehen werden konnten, wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Sie war psychisch stark belastet und hatte durch eine Erkrankung bereits etliche Arztbesuche hinter sich gebracht. Trotzdem hat sie sich darum bemüht, in Deutschland Fuß zu fassen und hätte im Herbst 2016 ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) an einem Standort der Diakonie beginnen können. Dazu kam es nicht, da sie in Abschiebungshaft genommen wurde. In dieser belastenden Situation kam hinzu, dass die Vorstellung, nach Kamerun zurückgebracht zu werden, die alte Traumatisierung wieder aufbrechen ließ. Mehrere Abschiebungsversuche scheiterten, weil sie sich zur Wehr setzte. Ihre Haftdauer verlängerte sich dadurch auf insgesamt 77 Tage. Nach einigen Hürden wurde schließlich erreicht, dass sie in die Rheinhessen-Fachklinik verlegt wurde. Hier wurde sie nach ihrer Behandlung mit Zustimmung der Ausländerbehörde entlassen. Sie wohnt wieder in Baden-Württemberg und bemüht sich, die Stelle im FSJ von neuem aufzunehmen. 

Stichwort: Abschiebungshaft in Ingelheim 

Die Abschiebungshaft in Ingelheim existiert seit Mai 2001. Die Einrichtung in Ingelheim wird in erster Linie von den Ländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland genutzt. Mittlerweile wird Amtshilfe für Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg geleistet. Von den insgesamt 359 Inhaftierten im Jahr 2016 fielen lediglich 78 in die Zuständigkeit rheinland-pfälzischer Ausländerbehörden. Die Einrichtung hatte ursprünglich 152 Haftplätze, die durch Umbaumaßnahmen auf etwa 40 Plätze verringert wurden. Bereits Ende des Jahres 2015 stiegen die Zahlen der Menschen in Abschiebungshaft. Nach einem starken Anstieg zu Beginn des Jahres 2016 hatte sich die Zahl der in Gewahrsam genommenen Menschen in der zweiten Jahreshälfte durchschnittlich in einem Bereich zwischen 15 und 20 Personen bewegt. Seit Beginn des Jahres 2017 sind die Haftzahlen erneut stark angestiegen. Im Februar lag die höchste Belegungszahl bei 48 Personen. Die Einrichtung musste vormals ruhende Bereiche wieder aktivieren beziehungsweise einzelne Zellen mit zwei Personen belegen. Derzeit ist in der Diskussion, die Kapazität zu erhöhen. Aktuell sind 36 Personen in Haft (Stand 04.04.2017). 

Stichwort: Ökumenische Beratungsstelle von Diakonie und Caritas  

Diakonie und Caritas bieten seit 2001 in ihrem ökumenischen Beratungsprojekt in der Abschiebungshaft in Ingelheim unabhängige Beratung durch einen hauptamtlichen Mitarbeiter an. Einmal pro Woche kommen im Wechsel vier im Asyl- und Ausländerrecht erfahrene Rechtsanwälte nach Ingelheim, um für die Inhaftierten kostenlose Rechtsberatung anzubieten. Die Beratungsstelle organisiert auch Sprachmittler, auf die bei Verständigungsschwierigkeiten zurückgegriffen werden kann. Unterstützung finden die Beratungsstelle und die inhaftierten Menschen außerdem durch die unentbehrliche ehrenamtliche Beratung von Amnesty International.  

Stichwort: Rechtshilfefonds 

Der Rechtshilfefonds unterstützt Personen, die nicht über eigene Geldmittel verfügen. Mithilfe des Fonds werden Verfahren teilfinanziert, in denen die Anordnung der Abschiebungshaft überprüft wird. Der Rechtshilfefonds wird ebenso verwendet, um asyl- und ausländerrechtliche Schritte einzuleiten. Er wird von Caritasverbänden und Diakonischen Werken in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg finanziert. 

Für Rückfragen: Andreas Kreiner-Wolf, Tel.: 06132 7807 1213, Ökumenische Beratungsstelle von Caritas und Diakonie in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige Ingelheim (LEfAA), Konrad-Adenauer-Str. 51, 55218 Ingelheim. 

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