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Flüchtlinge in Griechenland

Interview: „Flüchtlinge benötigen Gewissheit“

EKHNDie Flüchtlingsaktivistin Efi Latsoudis im Interview mit der Multimediaredaktion der EKHNDie Flüchtlingsaktivistin Efi Latsoudis im Interview mit der Multimediaredaktion der EKHN

„Der Tod und die Ungewissheit sind am schlimmsten“, erklärt die Psychologin und Flüchtlingsaktivistin Efi Latsoudi. Sie betreut auf Lesbos Flüchtlinge in einem Camp. Mit Erika von Bassewitz hat sie über ihren Alltag dort gesprochen, der auch glückliche Momente bereit hält.

Die griechische Flüchtlingsaktivistin Efi Latsoudi lebt auf Lesbos, nur wenige Seemeilen trennen sie von der türkischen Küste. Tausende Asylsuchende wagen jedes Jahr die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland. Allein im September 2015 sind mehr als 30.000 Menschen nach Lesbos gekommen, viele sind auf dem Weg gestorben. Aktuell warten auf der Insel fast 6000 Geflüchtete auf Anerkennung ihres Asylantrags. 

Efi Latsoudi und ihre Mitstreiter haben 2012 ein Sommercamp für Kinder in ein Flüchtlingscamp umgewandelt und den renommierten Nansen-Preis des UNHCR für ihren Einsatz erhalten. In dem Camp PIKPA („Dorf der Alle zusammen“) leben aktuell etwa 100 Menschen, hauptsächlich Familien. Auf der Synode der EKHN berichtet Latsoudi von ihrer Arbeit mit den Geflüchteten aus Syrien, Pakistan, Irak, Somalia oder auch Marokko.

Was genau machen Sie in PIKPA?

Efi Latsoudi: Wir kümmern uns um besonders verletzliche Fälle. Wir haben ein tolles medizinisches Team, das sie versorgt und wir unterstützen sie mit einem psychosozialen Team. Aber was diese Menschen im Augenblick am meisten benötigen, ist die Gewissheit, wie es mit ihnen weitergehen wird. Deshalb arbeiten wir eng mit Anwälten zusammen und versuchen den Geflüchteten gemeinsam zu erklären, was mit ihnen in den nächsten Monaten geschehen wird. Das ist das wichtigste: Das Bedürfnis nach Information. Wir versuchen sie auch zu integrieren und die Perspektive auf ein normales Leben in den nächsten Monaten zu geben, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Für die Kinder ist es wichtig, zur Schule gehen zu können. PIKPA ist das einzige Camp in Lesbos, dessen 28 Kinder derzeit alle zur Schule gehen.

Was hat sie dazu bewogen, sich für Flüchtlinge einzusetzen?

Efi Latsoudi: Das war in 2005. Damals gab es viele Flüchtlinge in Griechenland, die unter furchtbaren Bedingungen lebten – und es gab überhaupt kein öffentliches Bewusstsein dafür. Sie sind gestorben, sind im Meer ertrunken, und wir wussten nichts darüber. Das war für mich der Hauptgrund.

2012 haben wir uns mit vielen Menschen für die Flüchtlinge eingesetzt, weil die Partei Goldene Morgendämmerung (rechts-nationale Partei in Griechenland, Anm. der Redaktion) sehr erfolgreich wurde. Und wir waren der Meinung, dass die faschistische Partei leichter an Macht gewinnt, wenn die Flüchtlinge ungeschützt auf der Straße leben. Deshalb war es uns sehr wichtig, den Flüchtlingen und den Einheimischen unsere Solidarität mit den Geflüchteten zu zeigen. Das ist sehr wichtig. Auch jetzt, wo es so viel Fremdenfeindlichkeit gibt, sollte man zeigen, dass es Lösungen gibt. Und dass Solidarität und Menschlichkeit mögliche Lösungen sind. PIKPA ist nur eine von vielen Initiativen. Auf Lesbos gibt es das Mosaik-Center mit Unterricht und Aktivitäten. Außerdem starten wir mit einem Restaurant, in dem Einheimische und Geflüchtete zusammen arbeiten und sich begegnen. Es ist wichtig, zu zeigen, dass wir Dinge zusammen erreichen können.

Wie lange bleiben die Menschen normalerweise in PIKPA?

Efi Latsoudi: Wir wissen es nicht. Die meisten sind schon lange da, seit Februar. Die erste Familienzusammenführung nach Deutschland wird in zwei Wochen stattfinden. Eine Mutter mit ihrer anderthalbjährigen Tochter ist seit Februar im Camp, während der Vater mit den anderen sechs Kindern in Deutschland ist. Und die Mutter saß in Lesbos fest. 

2015 sind die Menschen gekommen und gegangen, sie blieben zwei Tage. Jetzt, wo die Grenzen geschlossen sind und die Menschen für die Registrierung da bleiben müssen, bleiben sie viel länger, weil das sehr langsam vorangeht. Wir wissen einfach nicht, wie lange sie bleiben. 

Stimmt es, dass die Asylsuchenden zur Registrierung kilometerweit über die Insel laufen müssen, weil es nur einen Ort dafür gibt und es ihnen verboten ist, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen?

Efi Latsoudi: Es gibt einen Registrierungs-Hotspot im Camp Moria, ja. Aber Flüchtlinge dürfen mittlerweile den Bus nehmen, auch wenn es Probleme mit dem öffentlichen Verkehr gibt. Und wir dürfen sie auch selbst mit dem Auto fahren. Es ist nicht mehr so wie früher, dass das kriminell war und dass sie auch nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln erlaubt waren. 

Gibt es Momente, in denen Ihre Arbeit im Camp Sie glücklich macht?

Efi Latsoudi: Meistens ist die Arbeit sehr frustrierend. Der Tod und die Ungewissheit sind am schlimmsten. Wir sehen die Menschen im Meer sterben, treffen die Familien der Vermissten. Das ist hart. Aber auch die Tatsache, dass wir ihnen keine Lösungen bieten können, dass wir sie manchmal in der Ungewissheit lassen müssen, ob sie vielleicht wieder zurück müssen. 

Für uns alle ist es wichtig, Ergebnisse zu sehen. Es geschehen aber immer wieder Dinge, die das Leben für Helfer und Geflüchtete schwieriger machen. Das Flüchtlingsabkommen der Türkei mit der EU war ein sehr schlechter Moment für uns. Wir haben mit einer humanitären Krise gekämpft, und auf einmal kämpfen wir mit den Gesetzen, weil die Menschenrechte und das Asyl in Europa nicht mehr garantiert sind.

Und wie sieht es nun mit zuversichtlichen Momenten aus?

Efi Latsoudi: Sehr schön dagegen ist es immer auch für uns, wenn Menschen dorthin gehen können, wo sie hin wollen. Wie diese Frau, die seit Monaten in PIKPA ist und weint, weil sie bei ihren Kindern sein will. Sie war so weit, dass sie gar nicht mehr nach Deutschland gehen wollte, sie wollte nur noch ihre Kinder bei sich haben und sogar zurück nach Syrien mit ihnen, so lange sie mit ihnen zusammen ist. Wir sahen sie monatelang jeden Tag in dieser Situation, und jetzt können wir ihr sagen, dass sie zu ihren Kindern gehen kann. Sie war so glücklich. Wenn wir in der Lage sind, diesen Menschen eine Antwort zu geben, dass sie in zwei Wochen fliegen können, dann macht uns das auch glücklich. Aber wenn wir keine Antworten haben, dann ist das auch für uns frustrierend, nicht nur für die Geflüchteten.

Was gibt Ihnen Kraft und lässt sie weitermachen?

Efi Latsoudi: Die Geflüchteten selbst geben mir sehr viel Kraft. Und die Tatsache, dass wir an das glauben, was wir machen: Dass es der einzige Weg ist, sich solidarisch mit diesen Menschen zu zeigen und ihre Menschenrechte zu schützen. Das ist auch ein Weg, unsere eigene Würde und unsere Zukunft zu bewahren.

Welche Änderungen wünschen Sie sich von der Politik?

Efi Latsoudi: Ich wünsche, dass Europa beweist, dass Menschenrechte auf diesem Kontinent wichtig sind. Dass wir ein solidarischer Ort sind, an dem Grundrechte geschützt werden. Und dass wir gemeinsam, wenn wir unsere Ressourcen und unsere Kräfte teilen, Lösungen bieten können. Angst und Fremdenfeindlichkeit sind keine Option. Sie werden Europa nicht helfen und Europa nicht sicherer machen.

Zum Thema:

Düstere Zukunft für Flüchtlinge in Europa

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