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EU-Türkei-Pakt

Andreas Lipsch: „Pakt" ist ein bizarres Unternehmen

istockphoto, Joel CarilletFlüchtlingeDiese kurdische Familie aus Syrien ist im Oktober 2015 auf der griechischen Insel Lesbos mit einem Boot aus der Türkei angkommen

Am Montag ist der EU-Türkei-Pakt in Kraft getreten, dabei wurden auch Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei zurück gebracht. Der Interkulturelle Beauftragte der EKHN verurteilt die Abschiebungen von den griechischen Inseln in die Türkei aufs Schärfste.

Lea BiskupDer interkulturelle Beauftragte der EKHN Andreas LipschDer interkulturelle Beauftragte der EKHN Andreas Lipsch

Während des Gipfels der europäischen Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingsfrage Mitte März 2016 hatten sich die EU und die Türkei darauf geeinigt, dass die Türkei künftig „alle irregulär nach Griechenland kommenden Flüchtlinge zurücknimmt“. Auf der Internetseite der Bundesregierung wird erläutert, dass im Gegenzug die EU für jeden illegal eingereisten Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei legal aufnehmen werde. Dabei werde die EU Griechenland logistisch unterstützen. Die Europäische Asylbehörde und die Grenzschutzbehörde sollen zudem verstärkt werden. 

Flüchtlingspakt am Montag, den 4. April gestartet

Die ersten Rückführungen aus Griechenland erfolgten bereits am Morgen des  4. April. Laut Presseberichten brachte eine Fähre Dutzende Menschen von der griechischen Insel Lesbos in die Türkei. Allerdings sind auch legal auf direktem Weg 32 syrische Flüchtlinge aus der Türkei am Flughafen in Hannover gelandet.
Pfarrer Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter der EKHN beurteilt das Abkommen und verdeutlicht die Folgen: 

Aus meiner Sicht ist dieser „Pakt" ein bizarres Unternehmen, das die Genfer Flüchtlingskonvention und rechtsstaatliche Verfahren auszuhebeln droht.

Bizarr ist schon die Idee: Wer aus der Türkei nach Griechenland gelangt, soll künftig nach einem schnellen pro forma-Verfahren in die Türkei abgeschoben werden. Für jeden auf diese Weise abgeschobenen syrischen Staatsangehörigen möchte die EU dann einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen. Praktisch heißt das: Erst muss ein syrischer Schutzsuchender bei der Überfahrt über die Ägäis sein Leben riskiert haben und dann per Schnellverfahren zurückverfrachtet worden sein, damit ein Platz für einen anderen Schutzsuchenden aus Syrien entsteht. Insgesamt soll auch das nur bis zu einer Obergrenze von 72.000 Menschen gelten.

Dieser 1:1-Mechanismus gilt allerdings ausschließlich für syrische Flüchtlinge, er gilt ausdrücklich nicht für Schutzsuchende aus anderen Kriegs- und Krisengebieten wie dem Irak, Eritrea oder Afghanistan. Offenbar gelten Menschen aus diesen Herkunftsländern in der EU jetzt grundsätzlich als nicht mehr schutzbedürftig, und das angesichts der Tatsache, dass die Anerkennungsquote von afghanischen Asylsuchenden in Deutschland im vergangenen Jahr bei 77 Prozent lag! Mit diesem gegenseitigen Ausspielen von Flüchtlingsgruppen verabschiedet sich Europa vom individuellen Recht auf Asyl.

Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muižnieks, hat das Ganze kürzlich als „schlicht illegal" bezeichnet. Dem schließe ich mich an: Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat, in den Schutzsuchende abgeschoben werden könnten. Wer es trotzdem tut, hebelt die Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention aus, die ein Ausweisungs- und Zurückweisungsverbot in Staaten vorsieht, in denen das Leben oder die Freiheit der Flüchtlinge bedroht ist. Die Türkei sichert diesen Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention aber nur Flüchtlingen aus Europa zu, für Menschen aus Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan gilt er dort nicht. Ein klares Indiz dafür sind die 30 afghanischen Flüchtlinge, die Amnesty International zufolge am Tag der Unterzeichnung des Abkommens von der Türkei nach Afghanistan abgeschoben wurden.

Die heute erfolgte erste Massenabschiebung von den griechischen Inseln in die Türkei lässt sich aus den genannten Gründen aus meiner Sicht durch nichts rechtfertigen. Sie ist schlicht rechtswidrig.

Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter der EKHN 

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